Azure Quantum: Eignet sich Microsofts Quantenrechner für das Business?
Quantenrechnen ist eines der ganz großen Versprechen der IT-Industrie. Durch die Speicherung von Informationen in Quantenzuständen und die Verwendung von Quanten-Gate-Vorgängen sollen sich extrem umfangreiche Kalkulationen – in der Regel als Bounded-error Quantum Polynomials (BQP) bezeichnet – durchführen lassen. Was sich kompliziert anhört ist in echt noch viel kniffliger. Für uns Zaungäste der Physik bleibt festzuhalten, dass damit Probleme gelöst werden können (sollen), bei denen das klassische Computing an seine Grenzen stößt.
Nun steht auch Microsoft im Quantenring
Da will auch Microsoft mitmischen. Schon lange offeriert man Azure for Business – das sind bekanntlich Cloud-Lösungen für kleine und mittlere Unternehmen. Seit März dieses Jahres ist neu eine integrierte Hybrid-Funktion in Azure Quantum verfügbar. Sie offeriert, wieder vereinfacht gesprochen, Quanten-Computing aus der Cloud – ein Novum in der Branche und für Dynamics-Anwender unbedingt ein Beobachtungsgegenstand. Es gilt zu eruieren, inwieweit diese Neuheit für den Business-Einsatz brauchbar ist.
Fragen wir bei Microsoft und einer der Verantwortlichen für Azure Quantum nach, etwa bei Krysta Svore, Distinguished Engineer and Vice President of Advanced Quantum Development. Sie macht als Einsatzzweck – wenig überraschend – sehr große Kalkulationen aus, wie sie typischerweise in der Wissenschaft anfallen, etwa bei der Berechnung von Klimamodellen. Diese Kalkulationen könnten mit dem nun verfügbaren Quantencomputer in Azure Quantum, dem Quantinuum, in Windeseile geschultert werden. Zu Hilfe kommen dabei klassische Rechensysteme im Peta-Maßstab, die mindestens 1015 Gleitkommaoperationen pro Sekunde (1 petaFLOPS) schaffen und über eine Bandbreite von bis zu 100 Terabit pro Sekunde zwischen Quanten- und klassischen Systemen kommunizieren.
Cloud-Quantencomputing wird vor allem in Chemie und Materialwirtschaft nachgefragt
Man sieht, die Hochverfügbarkeit und die Möglichkeiten zur Skalierung von Rechenleistungen in den Peta-Bereich über die Cloud schafft nicht nur neue Möglichkeiten für das Lösen quantenmechanischer Probleme, sondern macht das Rechnen auch per se schneller und damit kostengünstiger: Wissenschaftler der ETH Zürich und des Pacific Northwest National Laboratory konnten dazu vor kurzem zusammen mit Forschern von Microsoft einen automatisierten Arbeitsablauf für Prozesse der Quantenchemie und Materialwissenschaften vorstellen. Durch das Optimieren des klassischen Simulationscodes und seine Umwandlung in Cloud-nativen Code hat das interdisziplinäre Team nach eigenen Angaben die Kosten für Simulationen von katalytischen chemischen Reaktionen um den Faktor 10 senken können.
Aber man sieht wieder: Chemie und Materialwissenschaft sind die beiden „klassischen“ Einsatzfelder für Quantencomputing – bereits das High-Performance-Computing (HPC) in Azure bietet hier in Kombination mit künstlicher Intelligenz ein riesiges Potenzial für Fortschritte. Quantenmaschinen wie die in Azure ermöglichen darüber hinaus eine exponentiell höhere Genauigkeit bei der Modellierung neuer Pharmazeutika, Chemikalien und Materialien. Das wird weitreichenden Folgen haben, da Chemie und Materialwissenschaft nicht weniger als 96 Prozent aller hergestellten Waren tangieren.
Big Data und KI sind wahrscheinliche Szenarien
Aber kann Quantencomputing darüber hinaus im Geschäftsalltag hilfreich sein? Nun, außerhalb der Forschung wird ein großes Rechenpotential am ehesten im Bereich von sehr großen Datenmengen – landläufig Big Data genannt –, Simulationen/Tests sowie den Large Models der KI benötigt. Die Rechenpower eines Quantecomputers scheint dafür jedoch oft überdimensioniert. Und zu fehlerbehaftet, auch wenn Google, ein Pionier des kommerziellen Quantencomputings, hierzu gerade (wieder einmal) einen Durchbruch vermeldet hat.
Business-Einsatz steht noch nicht unmittelbar bevor
Gibt es denn gar keine Beispiele für den Business-Einsatz? Wie sieht es bei den Vorreitern in dieser Sache aus? Neben dem bereits genannten Google wäre das etwa IBM, das Unternehmen dazu rät, umgehend „in Quantencomputing zu investieren“, denn die Technologie entwickle sich schneller als erwartet weiter. Es sei höchste Zeit, eine „Quanten-Belegschaft aufzubauen, Anwendungsfälle zu identifizieren und die Integration von Quanten in Arbeitsabläufe zu planen“. Big Blue gesteht aber im selben Atemzug ein, dass kommerziell nutzbare Anwendungen wohl noch ein paar Jahre entfernt sind.
Zusammen mit diversen Partnern aus der Industrie wie Boeing, Exxon oder BP tastet sich IBM in mögliche Einsatzgebiete vor – ein offenkundig langwieriger Prozess. Schon seit Jahren versucht man beispielsweise zusammen mit Mercedes Benz unter Zuhilfenahme von Quantencomputing neue, effizientere Batterien für Elektroautos zu entwickeln. Brauchbare Ergebnisse bleiben bislang Mangelware, ähnlich sieht es bei der Kooperation von Mercedes mit Googles Quantenrechner aus. Und immer noch bewegen wir uns im Bereich der Forschung, nicht des Business.
Fördergelder für Versuchskaninchen stehen bereit
Wenigstens QUTAC, ein Konsortium bestehend aus 13 deutschen Industrieschwergewichten, kennt über die oft genannten Testszenarien und chemischen Prozesse hinaus konkretere Einsatzziele: Ein besseres Routing von Fahrzeugen, lukrativere Transportversicherungen, geschmeidiges Flottenmanagement sowie eine optimierte Planung des Robotereinsatzes in der Produktion kommen den Geschäftszielen unmittelbar zugute. „Bei uns sind täglich tausende Industrieroboter in Produktion und Logistik im Einsatz. Die Planung von Roboterabläufen ist komplex und ideal für computergestützte Optimierung und Designtechniken“, berichtet Dr. Andre Luckow, Leiter der Abteilung Neue Technologien beim Konsortiumsmitglied BMW Group IT, aus der Praxis. „Zudem arbeiten wir an der Optimierung der Fahrzeugausstattung für die Testfahrzeugkonfiguration. Mithilfe von Quantencomputing wollen wir die Anzahl notwendiger Testfahrzeuge minieren und gleichzeitig eine hundertprozentige Testabdeckung sicherstellen.“
Optimierung ist damit das Zauberwort, wenn wir uns nach dem Sinn und Zweck von Quantencomputing in Unternehmen umsehen. IT-Verantwortliche sollten sich fragen, was sie noch alles ein Stück besser (und damit in der Regel günstiger) machen könnten? Aktuell sind wir mit globalen, aber löchrigen Lieferketten konfrontiert. Das wäre ein naheliegendes Betätigungsfeld, in dem es viel für einen Quantenrechner zu tun gäbe. Auch Lastwagen und Lagerhallen gilt es möglich effizient zu füllen, Angebot und Nachfrage kostensparend auszutarieren, die Losgrößen zu bestimmen, mögliche Finanztransaktionen zu prognostizieren, etc. etc.
So gesehen finden sich Anwendungen, die dem Business ganz direkt weiterhelfen, an allen Ecken und Enden. Ob dafür Quantenrechnungen nötig sind, muss von Fall zu Fall entschieden werden. IT-Manager und Geschäftsführer, die sich als Entwickler und/oder Versuchskaninchen betätigen wollen, können auf Unterstützung von Bund und Ländern hoffen: Deutschland hat seine Förderung für Quantencomputing deutlich ausgebaut, wobei allerdings das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) den Löwenanteil erhält. Es soll die Gelder an Partner aus dem Mittelstand weiterreichen und mit ihnen in mehreren „Hubs“ unterschiedliche Qubit-Technologien entwickeln.
QUTAC bietet sich als „beratende Instanz“ an und will dafür sorgen, „dass Fördergelder dort ankommen, wo sie den größten kommerziellen Mehrwert versprechen“. Azure Quantum steuert u.a einen 500 Euro-Gutschein, eine Liste mit Azure Quantum-Anbietern, ein Ressourcenschätzungstool, eine Entwicklungsumgebung und bei Bedarf sogar ein eingeschränktes, kostenloses Azure-Konto bei.
Liebe Dynamics-Anwender, haben Sie ein Business-Projekt, für das Quantencomputing passen würde oder bereits zum Einsatz kommt? Lassen Sie es uns wissen, wir berichten gerne darüber.
- Hannover Messer: Microsoft voller Euphorie für KI und virtuelle Realität - 9. Mai 2023
- Umfrage zum ChatGPT-Einsatz in Unternehmen: 50 Prozent planen mit KI, manche Jobs werden überflüssig - 20. April 2023
- Rundum-Erneuerung 2023: Microsoft spendiert viele Updates für Dynamics 365, Viva Sales und Supply-Chain-Plattform - 20. April 2023